Die Bescherung

 

"Also, hört zu", sagte Georg Tanner und holte tief Luft.

"Frau Weber - das ist meine Sekretärin bei der Kripo - Ftau Weber und ich sassen mit einem Sandwich am Rhein und genossen die Sonne. Sie referierte über die neuesten Entwicklungen im Datenbankmanagement, aber ich liess meine Gedanken mit dem fliessenden Wasser driften. Bis sie plötzlich meinen Arm fasste und auf das Wasser hinunter deutete.

"Herr Tanner", zischte sie. "Ein herrenloses Boot treibt den Rhein hinunter."

Ich schaute dort hin, wo ihr ausgestreckter Zeigefinger hinwies und sah das Boot. "Alarmieren Sie die Kollegen vom Patrouillenschiff", wies ich sie an.

Kurz bevor das Boot in einen Brückenpfeiler krachte, gelang der Besatzung des Patrouillenschiffs die Bergung. Das Boot war nicht leer war. Drin lagen eine professionelle Taucherausrüstung - und ein bewusstloser Mann mit einer stark blutenden Kopfwunde."

 

"Uiihh", machten seine Zuhörer erschrocken.

 

"Der Notarzt versorgte den Mann mit dem Nötigsten. Bevor er zum Krankenhaus fuhr, drückte er mir etwas in die Hand. "Das habe ich beim Infusion Stecken in der Hand des Verletzten gefunden", sagte er hastig, stieg in den Rettungswagen und raste mit Sirenengeheul davon.

"Was hat er Ihnen gegeben?", fragte mich Frau Weber.

"Es scheint ...", begann ich und schaute mir das Ding genauer an,"„... ein verkrustetes Metallstück zu sein."

"Aber ...", sagte sie, "... es schimmert so gelb. Könnte das nicht Gold sein?"

Ich versuchte, mit den Fingern den Schmutz vom Metallstück zu reiben. Er war zäh, aber allmählich schimmerte es zwischen Daumen und Zeigefinger immer gelber. Es war ... eine Goldmünze. Frau Weber bekam glänzende Augen.

 

"Gold", kam es leise von seinen Zuhörern. Tanner hob bedeutungsvoll die Augenbrauen und fuhr fort.

 

"Wir mussten natürlich mehr über diese Münze wissen, fuhren zum Museum und zeigten sie dem Leiter der Münzsammlung, Herrn Meier.

"Das ist eine französische Goldmünze", erklärte er uns. "Ein so genannter Louis d'or. Und wenn man diese Münze hier sauber reinigt und konserviert, ist das sogar ein besonders schönes Exemplar."

"Sind die häufig?", wollte Frau Weber wissen.

"Oh nein. Louis d'ors wurden zwar während recht langer Zeit geprägt. Die ersten unter Louis XIII. Ihre Münze zeigt Louis XVI und wurde in den Anfangszeiten der französischen Revolution geprägt. Hier, die Jahreszahl 1793. Es ist vielleicht einer der letzten Louis d'or überhaupt.

"Und wie kommt der in die Hand unseres Verletzten?" fragte Frau Weber und schaute mich fragend an.

"Ich hätte da eine Idee", sagte Herr Meier, mit einem wissenden Lächeln. "1799, während des so genannten Zweiten Koalitionskriegs, versuchte ein französisches Schiff heimlich vor den Österreichern über den Rhein zu fliehen, wurde aber versenkt. An Bord des Schiffes soll sich sehr viel Gold befunden haben."

"Und wurde es gefunden?", fragte Frau Weber.

Herr Meier schüttelte den Kopf. "Obwohl intensiv danach gesucht wurde. Noch heute gibt es ein paar Unentwegte, die auch in unserem Archiv nachforschen."

Diese Geschichte tönte für mich zwar sehr nach einer alten Sage, wie das Rheingold der Nibelungen. Dennoch zeigte ich ihm das Foto des Verletzten.

"Alex Schnezler", sagte er nach einem kurzen Blick auf das Bild. "Das ist genau einer dieser Goldsucher."

Und mit einem Mal schien sich der Nebel über dem Fall zu lichten. "Könnte er diesen ... Schatz ... gefunden haben?", fragte ich.

Meier wiegte den Kopf. "Nachdem ich Schnezler lange nicht gesehen hatte, traf ich ihn kürzlich in der Stadt. Im Vorbeigehen flüsterte er mir zu, er habe eine heisse Spur. Wenn er das Wrack gefunden hat, wäre das eine wissenschaftliche Sensation."

"Aber dann müsste doch mehr als nur diese eine Münze vorhanden sein?", fragte Frau Weber. Und da war wieder dieser Glanz in ihren Augen.

"In den alten Unterlagen ist von viel Gold die Rede ..." antwortete Meier.

"Falls Schnezler tatsächlich dieser sensationelle Fund gelang", überlegte ich laut, "könnte er unmittelbar nachher niedergeschlagen und ausgeraubt worden sein."

"Und wenn es ein Unfall war?", fragte Frau Weber. "Vielleicht war er ausser sich vor Freude, stolperte in seinem Boot und stürzte unglücklich?"

"Können wir nicht ausschliessen", gab ich zu. "Wir müssen mehr über die Umstände erfahren. Wir starten einen Zeugenaufruf in den Medien."

"Und Sie sollten das Internet im Auge behalten", sagte Meier. "Wenn Schnezler wirklich überfallen wurde, wird der Räuber die Goldmünzen früher oder später verkaufen wollen. Und dafür eignet sich das Internet am besten."

Fünf Tage später wussten wir mehr. Auf die Meldung in den Medien hin hatten sich Zeugen gemeldet, die Schnezlers Boot ankern gesehen hatten. Einen Überfall hatte aber niemand beobachtet. Und dann kam Frau Weber ganz aufgeregt zu mir. Sie hatte im Internet eine Seite gefunden, auf der einige Louis d'or zum Kauf angeboten wurden. Mit dem Jahrgang 1793."

 

"Georg, was machst du hier?" Das war seine Schwägerin Claudia, die sich unbemerkt genähert hatte. Tanner und seine Zuhörerinnen schreckten hoch. "Es ist Heiligabend und du erzählst den Kindern Schauergeschichten?"

"Ooch, Mami. Es ist soo spannend", sagte Tabea, die älteste seiner drei Nichten. "Und es gibt auch gaaar keinen Toten in dieser Geschichte, nicht wahr, Onkel Georg."

"Keinen Toten", bestätigte Tanner. "Und der Fall hat sogar mit Weinachten zu tun."

"Nichts da", sagte Claudia streng. "Ihr kommt jetzt zum Baum, dann singen wir und nachher gibt's Geschenke." Sie drehte sich um und ging ins Wohnzimmer.

 

Enttäuscht schauten ihn die drei Mädchen an. "Kannst du nicht ganz schnell zu Ende erzählen", flüsterte Livia, die Kleinste.

Tanner zögerte kurz, dann nickte er und rückte näher zu seinen Nichten. "Aber gaaanz leise. ... also ... Frau Weber und ich nahmen Kontakt auf mit dem Mann, der die Münzen verkaufen wollte. Noch am gleichen Tag trafen wir ihn.

"Wirklich sehr schöne Münzen", sagte Frau Weber, zu Herrn Inderbizin.

"Ich sehe es am Leuchten in Ihren Augen, dass sie Ihnen gefallen", antwortete er.

"Woher stammen sie eigentlich", fragte ich und beobachtete ihn genau.

"Das ist eine faszinierende Geschichte", sagte er. "1799 ist im Rhein ein französisches Boot gekentert. Es hatte einen grossen Goldschatz an Bord. Seit Jahren habe ich alte Dokumente studiert, die Fliessverhältnisse des Rheins analysiert, bin hunderte Male getaucht - und kürzlich ist mir der Fund gelungen."

"Kennen Sie Alexander Schnezler?", fragte ich.

"Ääh ... flüchtig ..." antwortete Inderbizin zögernd.

"Wir sind von der Polizei und untersuchen seinen ... ja ... Unfall. Haben Sie ein Boot auf dem Rhein?"

Er erschrak. "Sie sind Polizisten ... ja, ich habe ein Boot ..."

"Vor ein paar Tagen wurde Schnezler aus seinem treibenden Boot gerettet. Er ist schwer verletzt und liegt immer noch im künstlichen Koma. In seiner Hand fanden wir eine Goldmünze. Genau eine wie diese, die Sie uns verkaufen wollen. Wie viele Münzen haben Sie übrigens gefunden?

"22 ... aber es hat sicher noch ..."

"...noch mehr im Rhein", beendete Frau Weber den Satz mit grossen Augen. "Herr Tanner, die müssen wir unbedingt suchen ... als ... als Beweisstücke natürlich ..."

Ich schaute sie an und da war ein geradezu gieriges Leuchten in ihrem Gesicht. "Frau Weber, hat Sie etwa das Goldfieber gepackt? Dabei heisst es doch, Diamonds are a girls best friend?*

"Jaja", sagt sie mit einem verlegenen Lächeln, "aber Gold ist auch eine ganz nette Bekanntschaft."

 

"Georg!" Claudia klang nun wirklich genervt. "Jetzt hör auf mit deiner Gruselgeschichte und komm endlich zum Baum. Die Kerzen brennen schon."

"Jaja, wir kommen", antwortete er. "Also, Kinder, fertig erzählt, jetzt wird gesungen." Er stand auf und wollte zum Baum gehen, da hielt ihn Anna, die Mittlere der drei Nichten am Ärmel zurück.

"Aber, Onkel Georg, war der ... Inder ... dings wirklich der Täter?"

"Ohja. Der Verletzte ist aus dem Koma erwacht und hat uns alles erzählt. Wie er das Gold fand und wie er überfallen wurde. So, und jetzt gehen wir singen."

Livia schnappte seine Hand. "Seid ihr das Gold noch suchen gegangen?"

"Und habt ihr es gefunden?", drängte Tabea.

"Hmmm", machte Tanner und schaute die Mädchen ernst an. "Unter dem Baum liegt für jedes von Euch Päckchen von mir. Ein ganz kleines ...Was da wohl drin sein könnte ..."